Wenn Künstler Häufchen machen, verwenden sie oft Alltagsgegenstände.
Sie platzieren sie im White Cube und überlassen sie sich selbst und dem
Betrachter. Der hat es nicht leicht damit, denn das Objet Trouvé feiert ja nun
auch bald seinen hundertsten Geburtstag. Genügte Marcel Duchamp noch ein
einzelnes Pissoir, um die Gemüter gegen sich aufzubringen, müssen die Objet
Trouvés nun in Grüppchen auftreten. Was soll das und warum ist das so?
Der Alltagsgegenstand funktioniert im White Cube ja als
Zeichen. Durch seine Verbringung in eine Umgebung, die alles zur Kunst macht,
wird er auch zur Kunst – oder eben zu einem Zeichen, also einem
Bedeutungsträger. Nun sei dahingestellt, ob die Entschlüsselung des Zeichens
gelingt (und wenn ja: ob sie ästhetischen oder intellektuellen Genuss bereitet)
– interessant sind die Manipulationsmöglichkeiten, die das Zeichen bietet. Man
kann den Gegenstand größer oder kleiner machen. Klein ist blöd, denn dann sieht
er ein bisschen mickrig aus. Größer machen ist zweifellos besser, man sieht das
Kunstwerk dann ja auch schon von weitem und hat immerhin die Chance, sich von
ihm überwältigen zu lassen, wenn man vor ihm steht und sich klein fühlen darf.
Das Zeichen erhält ein Mehr an „Zeichenhaftigkeit“, denn ohne Zweifel muss
„größer sein als“ eine Bedeutung besitzen. Das gleiche gilt für eine Gruppe
gleichförmiger Gegenstände. Die Wiederholung eines Zeichens stellt die
einfachste Zeichenkette dar. Wenn das Kind „AA“ sagt und es dann später auf dem
Töpfchen nicht nur macht, sondern auch so bezeichnet, ist die erste Hürde zum
Spracherwerb gemeistert. „Wiederholt“ der Künstler also Gegenstände, ist ihm in
seinem Künstlerleben ein Häufchen gelungen. Anders gesagt: Er hat eine
offensichtlich nicht zufällige, sondern bewusste Zeichenfolge geschaffen. Die
Aussage des Häufchens ist demzufolge: Das hier hat eine Bedeutung!
Leider bleibt die Bedeutung oft im Dunkeln. Es ist dem
Zeichen jedoch wesentlich, einen Inhalt zu transportieren. Einzig und allein
die Variabel ist ein Zeichen, das mit wechselnden Inhalten gefüllt werden kann.
Sie markiert eine Lücke in unserem Wissen, und diese Lücke kann gefüllt werden.
Geschieht dies, verabschiedet sich die Variabel – denn sie wird durch das nun
Gewusste ersetzt. Warum legt der Künstler nun die Bedeutung seiner Zeichen
nicht offen?
Wohlmeinend gesprochen: Er liebt das intellektuelle Spiel
der Ver- und Entschlüsselung und nimmt – nicht grundlos - an, dass auch die
Besucher des White Cubes so denken. Weniger wohlmeinend: Seine Kunst hat keine
Bedeutung, er simuliert also nur. Die Simulation gelingt erstaunlich oft, denn
sie bedient sich eines alten Tricks: Wenn du nur einfach denken kannst, dann
rede kompliziert. Der Zuhörer (oder Betrachter) wird annehmen, er sei zu blöd,
um dich zu verstehen. Mit diesem Trick haben Philosophen tausende von
Regalmetern in Bibliotheken gefüllt und Künstler unzählige Ausstellungen
bestritten. Das geht so lange gut, bis das Publikum fragt: Where’s the
beef?
Unvergessen in diesem Zusammenhang der Streich, den der theoretische
Physiker Alan Sokal der sozialwissenschaftlichen Zeitschrift „social text“
spielte: In seinem Text „Transgressing the Boundaries: Towards a Transformative
Hermeneutics of Quantum Gravity (deutsch: Die Grenzen überschreiten: Auf dem Weg
zu einer transformativen Hermeneutik der Quantengravitation)“ gab er vor, die
Quantengravitation als linguistisches and soziales Konstrukt zu deuten – ein
Text, geschrieben im Duktus der postmodernen, französischen Philosophen wie
Baudrillard, Lacan oder Virilio. Sein Text überstand problemlos den
Begutachtungsprozess und wurde gedruckt. Wenig später gab Sokal zu, mit Absicht
völligen Nonsense geschrieben zu haben und bewusst logische und inhaltliche
Fehler eingestreut zu haben. 1997 veröffentlichte Sokal zusammen mit seinem
belgischen Kollegen Jean Bricmont dazu ein Buch mit dem Titel Impostures
Intellectuelles (übersetzt: Intellektuelle Hochstapeleien, deutscher Titel: „Eleganter
Unsinn — Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaften missbrauchen.“), in
dem er seine Thesen erläutert.[1]
Dank gilt darüber hinaus wie immer auch Wittgenstein für seinen berühmten Satz
„Alles, was überhaupt gesagt werden kann, kann klar gesagt werden.“[2]
Nun ist Kunst keine Wissenschaft und ihr nachweisen zu
wollen, sie sei falsch, wäre töricht. Auch ist ja nicht klar, welche
Qualitätsstandards wir auf Kunst anwenden wollen. Vielleicht mag man sich aber
darauf einigen, dass man von Kunst Originalität erwartet. Originell ist das,
was wir noch nicht kennen, und das wollen wir doch: Etwas Neues kennen lernen,
eine neue Sichtweise eines Sachverhaltes, einen neuen Sachverhalt selbst, eine
abwegige[3]
Geschichte hören oder nie zuvor Gesehenes sehen. Wenn wir also das nächste Mal
vor einer monochromen Farbfläche stehen, vor einem weiteren Objet Trouvé oder
eben auch einem Häufchen, dann sollten wir in Betracht ziehen, dass es sich
dabei einfach um Mist handelt.
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